Um Orientierungspunkte zu schaffen sind Führungskräfte auf unterschiedlichste Weise gefordert sich und Unternehmensziele in Szene zu setzen. Deren Visualisierung durch Geschichtenerzählen hin zu aussagekräftigen Bildern hat eine besondere Bedeutung. Im Coachingformat „Standortbestimmung und Entwicklungsraum“ wird diese Herausforderung angenommen, indem das erzählerische Potential von Werken der bildenden Kunst erschlossen wird.
Kunstwerke spiegeln Ideen, Haltungen und Weltbilder. So öffnen Paul Klees Arbeiten den Blick auf eine Welt der Poesie, auf das unbedarfte und kindliche Spiel. Ganz anders zeigen sich die Arbeiten des Künstler Max Beckmann. Er transformiert seine schwierigen persönlichen Erfahrungen als Sanitäter im ersten Weltkrieg, indem er die Welt zur Bühne erklärt. Auf der Leinwand bekommt das Treiben der Menschen, in all seiner Verflochtenheit, Widersprüchlichkeit und Komplexität, seinen ganz eigenen Raum. Insofern besteht die Herausforderung des Künstlers darin, eine bestimmte Sicht auf die Welt zu entwickeln. Sie zielt auf Resonanz beim Betrachter, auf ein unmittelbares Berührtsein. Das Potential guter Kunstwerke liegt darin, dass thematische Fragestellungen – die Bildthemen – mit der emotionalen Wirkung von bildnerischen Elementen wie Form, Farbe und Raum, aufs Engste verknüpfen werden und so die Themen visuelle Kraft bekommen.
Im Coaching geht es um ganz ähnliche Prozesse. Lebensthemen, berufliche und persönliche Fragestellungen finden im Coachingprozess als Erzählung ihren Raum. Diese Anliegen werden in der Regel in Szenen geschildert. Die Herausforderung des Coachees, im Zusammenspiel mit dem Coach, liegt darin, ob es ihm, insbesondere zu Beginn eines Coachingprozesses, gelingt, ein griffiges und kraftvolles Bild der aktuellen oder auch der zukünftigen Situation zu entwickeln. Wobei, um im gedanklichen Raum der Kunst zu bleiben, hier der Coachee die Rolle des Künstlers einnimmt, indem er in einen kreativen Prozess eintaucht, in dem er aus dem Fundus seiner Erfahrungen und persönlichen Bildern schöpft. Das Suchen, Verwerfen und Finden von Fragen und Motiven, führt, im geglückten Fall, zu einem stimmigen und emotional aufgeladenen inneren Bild. Im weiteren Coachingprozess können Coachee und Coach, mit diesem Material spielerisch und kreativ, weiterarbeiten. Der Coach selber ist eher der Rahmengeber, der Impulse setzt und im geglückten Fall zur Verdichtung des Bildes beiträgt. Nichtsdestotrotz ist auch das eine kreative Leistung. Das gute Zusammenspiel in der Perspektivenentwicklung durch beide Beteiligten, macht einen gelungenen Start im Coaching Prozess aus.
In dem Format „Standortbestimmung und Entwicklungsraum“, das in einem Museum oder einer Galerie stattfindet, wird die Arbeit mit Bildern auf eine andere Ebene gehoben. Im üblichen Kontext eines Coachingprozesses werden die Themen und inneren Bilder zu Beginn, meist als Erzählung, entwickelt. Im Museum dreht sich dieser Ansatz herum. Die Bestimmtheit und Konzentration von Kunstwerken und Raum wird genutzt. Der Ansatz zielt auf die Ausstrahlungskraft der ausgestellten Arbeiten und auf die Wirkung des Museums, als Raum selbst. Der Vorteil ergibt sich von alleine. Bilder müssen vom Coachee nicht selbst entwickelt werden, sondern finden sich, im spielerisch – assoziativen Umgang, meist ganz von selbst. Das Format dauert in der Regel einen Tag und setzt sich aus den folgenden Elemente zusammen:
- Vorgespräch und Rahmung
- Die Arbeit im Museum
- Auswahl der Kunstwerke
- Erstens und zweites Coaching Gespräch, zum Stärken- und Entwicklungsbereich
- Die Purpose Board Übung
- Abschlussgespräch
1: Vorgespräch und Rahmung
Im Vorgespräch wird dem Coachee die Methode und Vorgehensweise vorgestellt. Dabei werden zwei Punkte angesprochen. Erstens, die Einführung in die Arbeit mit Kunstwerken. Zweitens, die Rahmung der Coaching Arbeit durch Stärken. Beim ersten Punkt gilt es zu klären, für welche Kunstrichtung der Coachee offen ist. Manche schätzen eher zeitgenössische Kunstwerke in ihrer Offenheit, andere fühlen sich eher zu klassischen Arbeiten, mit ihrem erzählerischen Ansatz, hingezogen. Im zweiten Schritt wird kurz die Arbeit mit Stärken, im Rahmen der positiven Psychologie, vorgestellt. Der VIA (Values in Action) Online Fragebogen bildet dafür eine geeignete Grundlage. Er setzt auf der Forschungsarbeit von Martin Seligmann (siehe Martin Seligmann, „Learned Optimism: How to Change Your Mind and Your Life“, Vintage 2006) auf und umfasst 24 Charakterstärken. Das Ergebnis des Fragebogens ist eine personenbezogene Reihenfolge. Die 3 – 5 ersten Stärken sind die sogenannten Signaturstärken, das sind die Stärken welche leicht umzusetzen sind und als energievoll erlebt werden. Die Signaturstärken sind der Ausgangspunkt der Coaching Arbeit.
2: Die Arbeit im Museum
Der Tag im Museum durchläuft vier Phasen. Zu Beginn erfolgt die Rahmung des Anliegens. Dann folgt der Auftakt, die Arbeit an dem Stärkenbereich. Gefolgt durch die Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsraum. Abschließend, die Purpose Board Übung.
In der Rahmung des Anliegens, vor der Auswahl der Kunstwerke, wird das Coaching Thema noch einmal auf den Punkt gebracht. Was hat sich seit dem Vorgespräch verändert und welche Aspekte haben an Bedeutung gewonnen, bzw. verloren. Hilfreich ist hier, wenn der Coachee sein Anliegen in einem Satz zusammenfassen kann. Mit dieser Intention betreten Coach und Coachee das Museum.
Im nächsten Schritt, durch eine Bodenankerübung, erfolgt die Auswahl der Stärken in Bezug auf die Signaturstärke und den Entwicklungsraum. Dabei werden alle 24 Stärken, als Karten – eine Kombination aus Bildern von Kunstwerken mit zugeordneten Stärkenbegriffen – auf den Boden gelegt. Die Auswahl beider Bereiche erfolgt durch den Coachee, ganz intuitiv. Danach beginnt die Auswahl der Kunstwerke für das Coaching.
Das erste Coaching Gespräch, dass zwischen 90 – 120 Minuten dauert, widmet sich der Signaturstärke. Der Coachee sucht sich ein Kunstwerk aus, das zu der gewählten Stärke passt. Entscheiden ist, das die Wahl nicht illustrierend getroffen wird, also die Stärke lediglich „bebildert“ wird, sondern eher nach Resonanz zu einem Kunstwerk gesucht wird. Immer wieder kommt es von Coachee Seite, im Nachhinein, zu Aussagen wie: “Ich hätte nie gedacht, dass dieses Bild so genau auf meine Frage passt“ (siehe Fallbeispiele). Die Coaching Arbeit selbst beginnt zunächst mit der Betrachtung des Kunstwerkes. Was lässt sich genau beobachten, ist die Leitfrage. Farben, Figuren, Formen und sogar die Bildkonstruktion, bilden den Schwerpunkt. Die Beobachtungssituation zielt darauf ab, im Prozess anzukommen und sich sicher zu fühlen. Nach etwa 30 Minuten geht es darum, die Beobachtung mit der Ausgangsfrage, bzw. der Wahl der Stärke zu verknüpfen. Eine typische Situation, die der Coach anspielt, könnte folgende sein: „Das was sie da jetzt beobachten, erinnert mich an ihre Ausgangsfrage“. Oder: „Was würde denn die Figur links zu ihrer Frage sagen“?
In dieser Phase beginnen Coach und Coachee, mit Hilfe des Kunstwerkes, verschiedene Perspektiven seines Anliegens und erste Lösungsansätze auszuloten. Auch der Aspekt von Kraft und der Herausforderung der Stärke wird in Betracht gezogen. Das Kunstwerk gewinnt an Tiefe und wird zu einer Art dritten Gesprächspartner im Raum. Das klassische Verhältnis von Coach und Coachee, im Sinne einer systemischen Zurückhaltung wird, zu Gunsten einer gemeinsamen „Forschungsreise“, aufgegeben. Was zählt sind die gemeinsamen Entdeckungen und vor allen Dingen die überraschenden Momente. Es kann dann zu „Aha – Momenten“ kommen, in denen Frage, Bild und Lösung, für den Coachee zusammenfallen. Wichtig ist hier, dass der Coach zwar Impulse setzt, die auch als solche ihre Wirkung entfalten sollen, aber keinesfalls als zu konkrete Lösungsansätze einen zu großen Raum bekommen. Als gute Ausleitung aus dem Prozess hat sich die Abschlussfrage bewährt: „Was würden sie aus dem Bild mitnehmen“. Sie verankert den Prozess und rundet ihn ab.
Nach einer Pause geht es dann im zweiten Coaching Gespräch um den Entwicklungsbereich. Das zweite Thema wird von Coachee häufig als Herausforderung erlebt. „Hier kann ich etwas nicht – hier gelingt es nicht“, sind typischen Beschreibungen. Auch dieser Schritt findet wieder in Verbindung mit einem Kunstwerk statt und folgt in der Methodik der Arbeit vor dem ersten Kunstwerk. In diesem Schritt geht es darum, von einem möglichen Verständnis eines Mangels, bzw. Unvermögens, zu einem Wendepunkt zu kommen, bei dem man ungehobenes Potential erkundet. Ein Beispiel: In einem Coaching Gespräch wählte ein Coachee das Entwicklungsthema Mut. „Oft fehlt mir der Mut in schwierigen Situationen mit meinen Teamleuten Nein zu sagen, da mache ich die Arbeit dann lieber selber“, beschrieb er die Herausforderung. Als Bild hatte eine Arbeit des englischen Künstlers Thomas Gainsborough gewählt. Das Kunstwerk ist ein Portrait des englischen Juristen Joshua Grigby, der mit Bestimmtheit und konzentrierten Blick in eine Landschaft schaut.
Thomas Gainsborough, Portrait Joshua Grigby
Das Bild, dass der Coachee eher zögerlich und mit Unsicherheit gewählt hatte, wurde zu einem Schlüsselerlebnis. Nach einer Weile drehte sich das Gespräch von der Beschreibung defizitärer Situationen, hin zu einer schwungvollen Betrachtung eines Repertoires, wie ein mutiges Auftreten gelingen kann, ganz in Übereinstimmung mit den persönlichen Möglichkeiten des Coachees. Bestimmtheit, Feinheit, Expertise und das Ausstrahlen von Entschlossenheit, waren alles Attribute die sich im Portrait wiederfanden. Kunstwerk und Lösungsraum wurden so eng miteinander verknüpft.
Aufbauend auf dem Spannungsbogen, Stärken und Entwicklungsraum, rundet die Purpose Board Übung das Format ab. In diesem Teil wir die Coaching Arbeit des Tages auf den Punkt gebracht. Was macht mich aus, wofür stehe ich, wie bin ich erkennbar, sind typische Leitfragen. In einem systematischen Prozess werden Begriffe des Arbeitsalltages so verdichtet, dass ein persönlicher Leitsatz entsteht. Dieser Schritt wird zwischen Coach und Coachee als kreatives Schreibformat gespielt, wobei der Coach eher die Rolle eines „Geburtshelfers“ einnimmt, der dabei hilft die richtige Energie einer solchen Formulierung zu finden. Ein kurzer Rückblick auf die drei Schritte beendet den Tag im Museum.
Purpose Board Übung, Verdichtung von Begriffen zu kraftvollen Leitsätzen
Führungskräfte erarbeiten im Dialog mit Kunstwerken Antworten auf die Alltagsherausforderungen
3: Abschlussgespräch
Nach einigen Tagen erfolgt das Abschlussgespräch. Grundlage hierfür ist ein Skizzenbuch, in dem während des Coachingprozesses Notizen, Ideen, besondere Momente und Lösungsansätze notiert wurden. Zusätzlich finden sich auch die ausgewählten Kunstwerke, sowie Fotos des Teilnehmers vor den Kunstwerken, wieder. Auch hier entsteht, ähnlich zu der Situation im Museum, eine Kombination aus Bild und Sprache, mit dem Ziel, die Ausgangsfrage und den Lösungsraum erneut zu verankern. Das Notizbuch wird dann dem Coachee überreicht. Häufig wird diese Zusammenfassung von Coachees als eine Art kleines Kunstwerk begriffen und wertgeschätzt, was das Anliegen des Formates Standortbestimmung und Entwicklungsraum unterstreicht, den Dialog über Kunstwerke als einen gemeinsamen kreativen Akt zu begreifen.
Das Format „Standortbestimmung und Entwicklungsraum“ ist damit ein Angebot, das in hoher Konzentration Orientierung bietet – z. B. für junge Führungskräfte, die sich mit einem nächsten Karriereschritt beschäftigen aber auch nach langjähriger Führungstätigkeit um für sich herauszuarbeiten, wie das eigene Potenzial in den letzten Berufsjahren weiterentwickelt werden kann.
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